Unterwegs in Mexiko

Vor neun Monaten habe ich die Koffer gepackt mit dem Reiseziel Los Angeles. Damals galt allerdings ein Corona-bedingtes Einreiseverbot für alle Schengenbürger:innen. Um dieses zu umgehen, musste ich zuerst vierzehn Tage in einem Land verbringen, dem die US-Gesundheitsbehörden wohlgesinnt war.

Und welches Land bietet sich besser an als Amerikas freundlicher, vielseitiger und warmer Nachbar: Mexiko. Hier findet sich alles, was das Lockdown-gebeutelte Herz braucht: nette Leute, Meer, Sonne, Natur und Tacos.

Fernwehkulisse der Extraklasse. Blick auf den Playa San Agustinillo im Südwesten Mexikos.

Jenseits von Raum und Zeit

Mein erster Halt ist Mexiko City. In diesem Grossstadt-Koloss erhole ich mich vom Jetlag, indem ich durch das Roma-Quartier flaniere – manchmal ist es fast schon ein Schweben. Mein Gefühl für Raum und Zeit muss mir irgendwo über dem Atlantik abhandengekommen und in den tiefen, dunklen Ozean geplumpst sein. In delierischem Zustand streife ich also durch die mit Bäumen gesäumten Strassen, vorbei an den Häusern, deren gotische und kolonialistische Schönheit ich mit verpeilter Bewunderung bestaune.

Entspannte Stimmung im Quartier Colonia Roma.

Um meine innere Uhr neu zu kalibrieren, greife ich zum Allerweltsmittel Kaffee und nutze das Überangebot an Bistros, wo ich das Brühgetränk in nachhaltiger Sorte und mit Sojamilch auf den Tisch gestellt bekomme. Beim Schlürfen meines Americanos komme ich nicht drum rum, einen Vergleich zwischen diesem urbanen Paradies namens Roma und dem Pariser Viertel Montmartre zu wagen.

Ein Meer aus Häusern

Mexiko City oder CDMX, wie es die betonten Kosmopoliten nennen, fasziniert mich. Offiziell hat die Stadt knapp 9 Millionen Einwohner:innen, die auf 1500 Quadratkilometern leben. Zum Vergleich: in Los Angeles leben offiziell knapp 4 Millionen Menschen auf einer Fläche von rund 1300 Quadratkilometern. Hier herrscht also die doppelte Einwohnerdichte. Wenn man die Stadt anfliegt oder mit dem Bus Richtung Süden tuckert, dann sieht man nicht nur die offizielle Stadt, dann sieht man den Ballungsraum. Und der ist riiiiiiiesig.

Auf über 2000 Metern Höhe erstreckt sich da ein Ozean aus Häusern, die über 20 Millionen Menschen beherbergen. Und wie jeder Ozean reicht auch dieses Häuser-Meer bis zum Horizont. (Hier übrigens eine eindrückliche Rekonstruktion der Stadt zur Zeit der Azteken)

Die Spitze des gewaltigen Häusereisbergs. Skyline von Mexiko City, fotografiert aus vom Schloss Chapultepec.

Die Spitze eines gewaltigen Häuserbergs. Skyline von Mexiko City, fotografiert vom Schloss Chapultepec.

Am Abend blicke ich Sergeant Pepper trinkend von der Supra Roma Rooftop Bar auf das quirlige Treiben von Mexico City hundert Meter unter mir. Motorenlärm und andere Geräusche vermischen sich zu einer Einheit mit Neon-Lichtern, Autos und Menschen. Letztere wirken vom 36. Stock aus klein wie Ameisen. Die Stadt wird zu einem einzigen, atmenden Organismus, in dem die Strassen die Blutbahnen, die Autos die Blutkörperchen und die Menschen der Sauerstoff sind.

Von einer Grossstadt der Dimension von Mexico City erwartet man viel, aber kaum so ein betörendes Viertel wie das Colonia Roma.

Von einer Grossstadt der Dimension von Mexico City erwartet man viel, aber kaum so ein betörendes Viertel wie das Colonia Roma.

Die Playlist für meine Streifzüge und langen Busfahrten durch Mexiko gibt’s hier (ja, ich hab eine Schwäche für poetisch klingende Playlistnamen):

Aber das wirklich faszinierende an Mexiko Stadt ist, dass dieser Moloch voller Gewalt, Gangs (wovon ich zum Glück nur in den Medien und von anderen Personen erfahre) und Verkehrschaos Stadtviertel wie Colonia Roma hervorbringt. Roma, dieser gepflegte Hipstergarten in einem wilden Grossstadtdschungel, diese Café-Oase in einer Megacity.

Doch meine Reise hat erst begonnen. Nach vier Tagen Mexiko City besteige ich den Bus Richtung Süden.

Farben und Mezcal

Acht Stunden später ziehe ich meinen Rollkoffer durch Oaxaca de Juarez, die Hauptstadt des gleichnamigen süd-östlichen Bundesstaates. Mit ihren 300’000 Einwohner:innen ist sie im Vergleich zu Mexiko City verschwindend klein und toggenburgisch provinziell. Abends trinke ich Mezcal mit zufälligen Bekanntschaften aus Mexicali und San Diego, während eine Live-Band Cumbia-Songs zum Besten gibt. Den wenig überraschenden Kater am Folgetag kuriere ich mit einem Streifzug durch das historische Zentrum. Diese einladende Gegend mit ihren bunten Häusern lässt mich meine Kopfschmerzen vergessen und nach einem deftigen mexikanischen Frühstück fühle ich mich stark wie ein Lucha-Libre-Kämpfer.

Immer weiter Richtung Süden

Drei Tage später sitze ich wieder im Bus. Immer weiter Richtung Süden, immer weiter Richtung Meer. In meiner Destination Mazunte angekommen, besuche ich als Erstes eine Strandbar und bestelle einen Fruchtsalat. Endlich Meer. Endlich wieder der Pazifik, der grösste und tiefste Ozean der Erde.

Ich sitze da und blicke eine gute halbe Stunde auf das Wasser, das in der Vormittagssonne glänzt. Ich beobachte die Endlosschlaufe der Wellen, die sich von kleinen, harmlosen Wölbungen zu bedrohlich grossen Gebilden auftürmen, dann krachend zusammenfallen und ihre Überbleibsel sanft Richtung Strand rollen, um dann für immer in den Fluten des mächtigen Pazifiks zu verschwinden.

Vor mir liegen 10’000 Kilometer Ozean, Land gibt es erst wieder am Südpol.

Hier lässt es sich gut überbrücken. Das Hippie-Örtchen Mazunte im Bundesstaat Oaxaca im Südwesten Mexikos.

Hier lässt es sich gut überbrücken. Das Hippie-Örtchen Mazunte im Bundesstaat Oaxaca im Südwesten Mexikos.

Weltenbummler:innen unter sich

Ich geniesse die Tage im Hippie-Nest Mazunte, bade im Pazifik, lass mich von den Wellen durchwirbeln und beobachte die Leute. Meistens sind das Gestrandete, Suchende, Vagabundierende, die aus Kanada, den USA, Deutschland oder Frankreich kommen. Einige verkaufen ihren selbst-gemachten Schmuck, andere Kuchen. Einige gönnen sich Ferien, andere nehmen eine Auszeit und wieder andere wollen gar nicht zurück. Viele dieser Neo-Nomad:innen leben überall und sind doch nirgends zu Hause.

Dann ist Tag 13 meines Mexiko-Aufenthalts da. Es gilt aufzubrechen. Ich lasse das tropische Mini-Paradies hinter mir und begebe mich auf den Rückweg nach Mexiko Stadt. Dort streife ich am Abend noch ein letztes Mal durch Roma. Am nächsten Tag mache ich mich um 18:00 auf zum Benito Juárez International Flughafen. Um 20:45 boarde ich den Flug VOI 926 nach Los Angeles.

Vielen Dank für’s Gegenlesen, Jacqueline <3

Zur Fortsetzung geht’s hier: L.A - Meine Reise in die Stadt der Engel

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